Michelfeld (Baden-Württemberg)

Bildergebnis für angelbachtal baden-württemberg karte Michelfeld mit seinen derzeit ca. 3.800 Einwohnern ist heute ein Ortsteil von Angelbachtal im Rhein-Neckar-Kreis - ca. 25 Kilometer südlich von Heidelberg gelegen (Kartenskizze 'Rhein-Neckar-Kreis', Hagar 2010, aus: commons.wikimedia.org, CC BY-SA 3.0).

 

Um die Mitte des 19.Jahrhunderts zählte die jüdische Gemeinde in Michelfeld etwa 240 Angehörge, damit war damals jeder 5. Ortsbewohner mosaischen Glaubens.

Gegen Mitte des 16.Jahrhunderts waren zwei Juden aus Michelfeld im kurpfälzischen Schirmgeldverzeichnis als „Schutzjuden“ eingetragen. Nach Ende des Dreißigjährigen Krieges nahmen die Herren von Gemmingen-Hornberg jüdische Familien in Michelfeld auf, um mit deren Hilfe das entvölkerte Dorf wieder aufzubauen und die am Boden liegende Wirtschaft zu beleben.

Die Zunahme des jüdischen Bevölkerungsanteils ließ im christlichen Dorf eine antijüdische Stimmung entstehen, die dazu führte, dass im Leben der Glaubensgruppen kaum ein Miteinander möglich war; zudem ließen verschiedene Beschwerden über die Juden beim Grundherren kein freundschaftliches Verhältnis aufkommen. Das Wohngebiet der jüdischen Familien konzentrierte sich zunächst auf das „Judengässle“, die heutige Schallbachgasse; später besaßen sie dann Häuser in der Karlsstraße.

Gegen Ende des 18.Jahrhunderts wurde vermutlich eine Synagoge gebaut, die sich mit dem Wachstum der Gemeinde in den 1820er Jahren als zu klein erwies. Auf einen Umbau bzw. eine Vergrößerung des inzwischen baufälligen Gebäudes wurde verzichtet und stattdessen 1838 eine neue Synagoge in der Schallbachgasse errichtet; im Gebäude waren auch das Schulzimmer und die Lehrerwohnung untergebracht. Die kleine jüdische Schule bestand bis Anfang der 1920er Jahre.

                                   Skizze der ehem. Synagoge (Richard Weigel)

Für die Ausübung religiöser Aufgaben der Gemeinde war ein Lehrer angestellt. Mehr als vier Jahrzehnte (beginnend 1830) hatte diese Stelle der Hauptlehrer Münzesheimer inne.

    http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20256/Eichtersheim%20Israelit%2017031904.jpg

Stellenausschreibungen in der Zeitschrift „Der Israelit“ vom 13.3.1884, vom 6.12.1900 und vom 17.3.1904

1904 wurde die Lehrerstelle gemeinsam für Michelfeld und Eichtersheim ausgeschrieben (siehe Anzeige oben rechts).

Ihre Verstorbenen beerdigte die Michelfelder Judenschaft anfänglich auf dem jüdischen Friedhof in Oberöwisheim, später auf dem in Waibstadt bzw. in Eichtersheim. Ab ca. 1870 benutzte die Gemeinde ein Bestattungsgelände am Ort, das neben dem christlichen Friedhof lag. 

Die Gemeinde Michelfeld war ab 1827 dem Rabbinatsbezirk Bruchsal zugeordnet.

Juden in Michelfeld:

         --- 1807 ......................... 125 Juden,

    --- 1825 ......................... 172   “  (ca. 15% d. Bevölk.),

    --- um 1845 ...................... 242   “  (ca. 20% d. Bevölk.),

    --- 1875 ......................... 144   “  (ca. 11% d. Bevölk.),

    --- 1887 ......................... 134   “  ,

    --- 1900 .........................  54   “  (ca. 4% d. Bevölk.),

    --- 1910 .........................  22   “  ,

    --- 1925 .........................  11   “  ,

    --- 1935 .........................   2 jüdische Familien,

       --- 1938 .........................  keine.

Angaben aus:  Johann Jenne, Michelfeld. Das Dorf und seine Geschichte, S. 105

und                  F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, ..., S. 201

 

Im 18./19.Jahrhundert lebten die Michelfelder Juden vom Handel mit Vieh, Textilien und Landesprodukten. Größere wirtschaftliche Bedeutung hatte eine seit ca. 1810 bestehende Wolltuchfabrikation des jüdischen Unternehmers Zacharias Oppenheimer; in den 1870er Jahren ging die Fabrik bankrott und wurde in Bruchsal weitergeführt. Im letzten Viertel des 19.Jahrhunderts nahm der jüdische Bevölkerungsanteil stark ab. Zu Beginn der NS-Zeit lebten nur noch zwei jüdische Familien am Ort.

Die Michelfelder jüdische Gemeinde wurde offiziell im Herbst 1935 aufgelöst; die noch hier wohnhaften Juden schlossen sich der Gemeinde Eichtersheim an.

Zeitungsnotiz vom Jan. 1936  

Bereits gegen Ende der 1920er Jahre hatten keine Gottesdienste mehr stattgefunden, da kein Minjan mehr erreicht wurde. Die hiesige Kommune mietete das Synagogengebäude zunächst für 90,- RM pro Jahr an, stellte aber 1933 die Zahlungen ein. Letztendlich veräußerte die sich in Auflösung befindliche jüdische Gemeinde das inzwischen baufällig gewordene Gebäude an einen Privatmann, der das Gebäude abbrechen ließ und nun das Gelände als Gartenland nutzte.

Im Rahmen der sog. „Bürckel-Aktion“ wurden die letzten jüdischen Bewohner nach Gurs deportiert.

Nach Angaben der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem und des "Gedenkbuches - Opfer der Verfolgung der Juden ..." sind zehn aus Michelfeld stammende Juden Opfer der NS-Gewaltherrschaft geworden (namentliche Nennung der betroffenen Personen siehe: alemannia-judaica.de/michelfeld_synagoge.htm).

 

Nur der jüdische Friedhof erinnert heute in Michelfeld daran, dass der Ort einst eine jüdische Gemeinde besaß; etwa 90 Grabsteine sind erhalten.

Friedhof in Michelfeld (Aufn. P. Schmelzle, 2009, aus: wikipedia.org, CC BY-SA 3.0)

Eine Gedenktafel, die an die ehemalige jüdische Ortsgemeinde erinnert, wurde 2016 (!) am ehemaligen Standort der Dorfsynagoge in der Schallbachgasse angebracht.

 

 

In Eichtersheim - ebenfalls Ortsteil von Angelbachtal - gab es auch eine jüdische Gemeinde, die 1938 aufgelöst wurde.

[vgl. Eichtersheim (Baden-Württemberg)]

 

 

 

Weitere Informationen:

F.Hundsnurscher/G.Taddey, Die jüdischen Gemeinden in Baden. Denkmale, Geschichte, Schicksale, in: "Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg", Band 19, Kohlhammer-Verlag, Stuttgart 1968, S. 201/202

Heimatbuch Michelfeld, Die jüdische Gemeinde in Michelfeld / Die Tuchfabrik Oppenheimer, Michelfeld 1986

Joachim Hahn, Erinnerungen und Zeugnisse jüdischer Geschichte in Baden-Württemberg, Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 1988, S. 462/463

Karol Sidon (Bearb.), Der jüdische Friedhof in Angelbachtal-Michelfeld, Unveröffentlichte Dokumentation des Zentralarchivs zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland, 1989

Johann Jenne, Michelfeld. Das Dorf und seine Geschichte, hrg. von der Kommune Angelbachtal, 1990, S. 105 f.

Barbara Döpp (Bearb.), Alter jüdischer Friedhof in Angelbachtal-Michelfeld, Unveröffentlichte Grunddokumentation des Landesdenkmalamtes Baden-Württemberg, 1991

Joachim Hahn/Jürgen Krüger, “Hier ist nichts anderes als Gottes Haus ...” Synagogen in Baden-Württemberg, Teilband 2: Orte und Einrichtungen, Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2007, S. 11 - 13

Michelfeld, in: alemannia-judaica.de (mit Dokumenten zur jüdischen Ortshistorie)

Kommune Angelbachtal im Kraichgau, Enthüllung Gedenktafel Synagoge Michelfeld, Pressemitteilung vom 14.11.2016

Kommune Angelbachtal im Kraichgau, Buch „Jüdisches Leben in Michelfeld“ erschienen – Gemeinde gibt zweites Werk von Leonhard Dörfer zur Israelitischen Geschichte heraus, Pressemitteilung vom 26.5.2020

Leonhard Dörfer, Jüdisches Leben in Michelfeld, hrg. von der Kommune Angelbachtal, verlag regionalkultur Ubstadt-Weiher 2020